Expedition

Die Riesenschimpansen des Kongos

1902

Expedition Congo

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Expeditionsbericht von Dame Victoria Stanley.

„Der Dschungel hat noch immer große Geheimnisse für uns“,

sagte ich als ich den ersten Schritt abseits der getretenen Pfade in das wilde Dickicht hinein ging. Wir waren im Kongo, in der Region um Bili und Bondo, und auf der Suche nach Riesenaffen.

Alles, was wir über diese Tiere wussten, waren ein paar Legenden der Einwohner dieser Gegend. Aber was davon wahr oder nur zig mal erzählte Geschichten waren, das vermag ich nicht einzuschätzen. Ich bin ein Mensch der Wissenschaft und nicht des Geschwätzes. Außerdem hatte ich eine Abschrift aus Belgien bei mir und gab darauf acht wie auf die Bibel. 1898 brachte ein belgischer Offizier drei Affenschädel aus dieser Gegend nach Brüssel. Sie waren außergewöhnlich groß und galten als Laune der Natur. Ich gebe nichts auf ihre Launen. Ich wollte diese Affen sehen und würde sie suchen, bis sie sich mir zeigten.

Wir wussten durch lokale Jäger von Affen-Populationen in einem westlichen Waldstück, durch den ein Bach floss und von einer kleineren Population im Osten, in die sich nicht mal die jungen Männer der Gegend hin trauten.

Einer meiner fünf Askaris war ein sehr pfiffiger Kerl, wendig mit der Waffe und Ohren wie ein Luchs. Ich sah es gern, wenn er Fährten suchte und die Expedition durch den Dschungel anführte. Er mag uns nicht nur einmal den Allerwertesten gerettet haben. Dieser junge Askaris war es also, der am dritten Tage unserer Expedition, es war der 20.Oktober 1902, Trommeln und Geschrei vernahm. Ich hatte nichts gehört und auch mein grobschlächtiger Kollege Engeland und die anderen Askaris hielten ihre Ohren konzentriert, aber erfolglos in den Wind. Auf ihre Ohren gab ich nicht viel. Sie waren von Gewehrsalven geschunden und abgenutzt, taub von dem ewigen Geschnatter ihrer Weiber. Mein erster Askaris jedoch zog wie ein Magnet durch den Dschungel und ich folgte ihm blind. Schon bald hörte auch ich ein Schreien und ein stampfendes Trommeln. Alle anderen waren zurück geblieben. Ich hatte keine Angst, spürte die nahende Entdeckung nur ein paar Meter vor mir im zugewachsenen, engen Dschungel. Ein markdurchdringender Schrei ging durch den Wald. Ein Affe. Schließlich sah ich ihn. In vielleicht 10 Meter Entfernung auf einem Stein sitzend. Hinter ihm waren ungefähr zehn weitere Tiere, die bedrohlich auf den Boden stampften. Ich konnte sie nicht klassifizieren – so eine Affenart hatte ich noch nie gesehen. Ihre Körpergröße machte mich schier sprachlos. 2 oder 3 Meter müssen manche von ihnen an Höhe gemessen haben. Ihr Fell weiß, schwarz und grau meliert. Die Steine, zwischen und auf denen sie saßen, schienen zu einer Formation arrangiert. Ja, ich denke sie wären stark genug gewesen, Steine dieser Größe und diesen Gewichts schleppen zu können. Aber mir schauderte, als ich mich bei dem Gedanken erwischte, dass sie auch ungewöhnlich intelligent sein müssen, um Felsen zu einer Formation zu setzen.

Expedition Congo
Noch einmal schrie der Affe auf und sah mir direkt in die Augen. Eine Hand griff mich von hinten. Es war der Askaris und er zog mich fort. Vielleicht rette er mein Leben vor diesen gewaltigen Affen, aber in dem Moment hasste ich ihn nur. Ich hatte keine Beweise, nichts. Ich hatte nur ein pochendes Herz und leere Hände.

In den Tagen darauf fanden wir die Steinformation nicht wieder.

Was waren dies nur für Wesen? Wir hatten immerhin Bodennester gefunden. Doch Schimpansen ziehen sich zum Schlafen eher in Bäume zurück. Wir haben es also mit einer Affenart zu tun, die Nester baut. Ich war furchtbar nervös und voller Tatendrang. Diese Affen gehörten mir. Und doch… hatte ich das Gefühl, dass nicht mehr ich diese Riesenaffen verfolgte – sondern sie Besitz von mir ergriffen hatten und mich verfolgten. Bis in die tiefsten Träume jeder Nacht.

Ich hatte die Expedition auf einen Vulkan im Westen gelenkt und hoffte auf die Population der dort gesichteten Affen. In 3100 m Höhe schlugen wir ein Zelt auf. Den Boden hatten wir zuvor weich mit Moos ausgelegt. Der Grat war so schmal, dass die Zeltpflöcke schon am Abhang eingeschlagen werden mussten.

In der Nacht holten sie uns ein. Von unserem Lager aus erblickten wir eine Herde riesiger schwarz-weißer Affen, die versuchten, den höchsten Gipfel des Vulkans zu erklettern.
Während mein schwitzfingriger Kollege Engeland vor Aufregung den Himmel beschoss, streckten die Askari zwei von ihnen mit Giftpfeilen nieder. Mit großem Gepolter stürzten sie in eine sich nach Nordosten öffnende Kraterschlucht. Der Rest der Herde floh.
Nach fünfstündiger, anstrengender Arbeit gelang es uns, eines der toten Tiere angeseilt heraufzuholen.

Es war ein männlicher Affe von etwa zweieinhalb Metern Größe und einem Gewicht von über 350 Pfund. Die Brust weiß, die Hände und Füße von ungeheurer Größe. Ich war erschaudert als dieser riesige, gewaltige Affe so schweigend vor mir lag. Dies war kein Schimpanse. Aus dem Flachland waren mir Gorillas bekannt, aber doch nicht hier. Dann spürte ich dieses Glücksgefühl hoch kommen, eine wahrhafte, neue Entdeckung gemacht zu haben. Dies war die Expedition meines Lebens.

Wir beendeten die Forschung und kehrten zurück. Ich war beseelt und merkte nicht, dass die Einheimischen in Panik gerieten. Glaubten sie doch, dass ich einen Geist getötet hätte und sie hierfür durch Krankheit, Naturlaunen und Dünnpfiff – oder was weiß ich – gestraft werden würden. Auch der erste Askari, den ich für einen hellen Kopf hielt, wandte sich von mir ab.

Ich schickte den riesigen Affen nach London ins Britische Naturkundemuseum. Zwar fraß zuvor eine widerliche Hyäne meinem Affen etwas Haut und eine Hand ab, aber anhand des Schädel und des Skelettes wurde es bestätigt. Ich hatte eine bisher unbekannte Schimpansen-Art entdeckt.

Noch heute denke ich stets an meine größte Entdeckung und trotz allem Stolz, zermürbt mich die ungelöste Frage, was es mit der Steinformation auf sich hatte. Ich hoffe inständig, dass die, die nach mir kommen werden, eines Tages auch dieses Rätsel lösen.

 

Heute im Adventure Club of Europe

Artefakte:

  • Ein Stück des Berggorillas
  • Eine Zeichnung aus der Erinnerung Stanleys über die Gorillas in der Steinformation

 

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